Mit den hier wiedergegebenen Geschehnissen, den Kämpfen von MigrantInnen für ihre Rechte, soll ein anderes Bild von Migrierenden gezeichnet werden, als das in der Öffentlichkeit vorherrschende. Wir sehen an diesem Beispiel, dass Migration ihre ProtagonistInnen nicht zwangsläufig in die Rolle des „Opfers“ zwingt. Trotz der Steine die ihnen nicht nur von den GesetzgeberInnen in den Weg gelegt werden, haben auch Illegalisierte eine Stimme, die sie erheben können.
Dass Migration und Ausbeutung oft Hand in Hand gehen, haben wir schon oft gehört. Im Sinn haben wir da nicht nur das überpolarisierte Bild von „bösen Schleppern“ und „armen Migranten“, wie es von den Medien gerne gezeichnet wird, sondern auch das von großen Gemüseplantagen in Spanien oder Italien. Auch in Griechenland gibt es solche Plantagen, in denen die Menschen zehn Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche für 20 Euro pro Tag arbeiten und in denen sie in Plastikverschlägen auf Strohsäcken schlafen. Zu den Bedingungen solcher Arbeitsverhältnisse tragen „Illegalität“ und Marginalisierung der Arbeitenden ihren Teil bei. Durch die rechtliche Nicht-Existenz ist nicht nur das Vorhandensein von Alternativen beschränkt, sondern auch der Zugang zu Institutionen, die für die Einhaltung von Rechten und Gesetzen einstehen, erschwert. Durch diesen Umstand wird es wiederum den Arbeitgebenden leicht gemacht, ebenjene Gesetze zu ignorieren, und die Arbeitskraft der Illegalisierten maximal auszubeuten. Die wachsende Gewinnspanne des Arbeitgebers ermöglicht es ihm, sich gut auf dem Markt zu platzieren und zur Freude der Konsumierenden minimale Preise zu garantieren.
Dieser Artikel soll aber nicht von den elendigen Lebens- und Arbeitsbedingungen berichten, sondern von denen, die dieser Ausbeutung etwas entgegensetzen. Es gibt Menschen, die sich, obwohl sie von staatlicher Seite als nicht-existent da „illegal“ ernannt und ihnen keinerlei Recht zuerkannt werden, zusammenfinden, sich besprechen und ihre Kräfte bündeln. Sie widersetzen sich so der formalen Überlegenheit ihrer ArbeitgeberInnen. Sie stellen Forderung, kündigen das Arbeitsverhältnis gemeinsam, schalten Medien oder Gewerkschaften ein und streiken. Eine solche Gruppe von meist illegalisierten ArbeitnehmerInnen, die sich das Ausbleiben ihres Lohnes nicht gefallen ließ, trafen wir in Ioannina, im Nordwesten Griechenlands.
Wir sitzen auf einem der Betten in dem wohnlich eingerichteten Zimmer eines besetzten Hauses in Ioannina. Die Bewohner dieses Hauses sind gerade dabei einen Brief an die EinwohnerInnen der Stadt zu schreiben, in dem sie beschreiben, was ihnen in den letzten Monaten passiert ist, wie sie darauf reagiert haben und den sie mit der Bitte um die Solidarität der EinwohnerInnen versehen.
Jeder der acht Männer, die dort neben und uns gegenüber sitzen, hat eine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte von einem weiten Weg, den sie schon hinter sich haben. Und auch eine Geschichte von einem weiten Weg, den es noch zu gehen gilt zu ihrem erhofften Ziel. Sie haben überwundene Grenzen hinter sich, Enttäuschung ob dieses unwirtlichen Europas, eine Familie, die auf heimgeschicktes Geld wartet.
Auf unterschiedlichen Wegen kamen sie auf die Plantage der Firma Tzartzoulis S.A. in der Nähe von Ioannina, auf der Tomaten und Bohnen angebaut werden. Sie nahmen es hin, in Plastikhütten zu wohnen, viel zu arbeiten und kaum Pausen zu haben. Sie nahmen es hin, bis ihnen ihr Lohn nicht ausgezahlt wurde. Da setzten sie sich zusammen und überlegten, wie sie den Arbeitgeber unter Druck setzen könnten. Sie führten Warnstreiks durch, forderten Gespräche, in denen neue Verträge aufgesetzt wurden. Der Arbeitgeber ließ einige Veränderungen zu, jedoch dauerte es nie lange, bis er den Lohn wieder einbehielt. Während das Gemüse, welches da angebaut wurde, in LKW durch ganz Europa fuhr und Geld einbrachte, sahen die Arbeitenden wochen- und monatelang keinen Cent von dem Erwirtschafteten. Als dann auch noch der Plantagenbesitzer mit all den Computern und wichtigen Maschinen vom Gelände verschwand, reichte es einigen der Arbeitenden. Sie wollten nicht mehr warten. Stattdessen gingen sie in die nächst größere Stadt, Ioannina, und sorgten für Aufmerksamkeit, um ihren Lohn zu erstreiten. Durch einen Zufall wurde eine griechischen Gewerkschaft auf diesen Schritt aufmerksam, solidarisierte sich mit den Kämpfenden und brachte den Fall in die Medien. Nach einer Demonstration am ersten Tag, begaben sich die 35 aufständigen Arbeitenden auf den zentralen Platz vor dem Rathaus und dem Gericht und traten in den Hungerstreik. Mitten im Dezember zelteten sie zwei Wochen lang im Schnee ohne einen Bissen zu sich zu nehmen.
Dieser Hungerstreik ist einer von zahlreichen Kämpfen prekarisierter MigrantInnen in Griechenland, die ihre Rechte einfordern. Im Frühjahr 2011 streikten beispielsweise 300 vor allem maghrebinische MigrantInnen 44 Tage lang für die Legalisierung ihres Aufenthaltsstatus’. Sie streikten als MigrantInnen, aber auch als Arbeitende für ein Recht auf soziale und politische Teilhabe. Obwohl der Hungerstreik durch Kriminalisierungsversuche von Seiten der Regierung überschattet war, schafften sie es in den gesellschaftlichen Diskurs zu intervenieren. Trotzdem wurden nach 44-tägigem Kampf nicht alle Forderungen erfüllt, jedoch erhielten alle Streikenden eine Aufenthaltserlaubnis.1
Auch in Ioannina führte der Hungerstreik zum Erfolg: Durch den Druck, den die Streikenden, die solidarische Bevölkerung, die Medien und die Polizei auf den Plantagenbesitzer ausübten, willigte dieser endlich ein den Lohn auszuzahlen. Zusammengerechnet ging es um eine Summe von etwa 65 000 Euro.
„Dieser Plantagenbesitzer ist nicht ernst zu nehmen! Jedes Jahr macht er das gleiche.“, sagt Gérard, einer der Hungerstreikenden „Bis heute haben andere Gruppen von Arbeitenden ihr Geld noch nicht.“ Nachdem sie selbst aber ihren Lohn bekommen hatten und natürlich nicht mehr auf die Plantage zurückkehren wollten, sind zwölf der Hungerstreikenden in ein leerstehendes Haus in Ioannina eingezogen. Sie bestreiten ihren Lebensunterhalt im Moment damit, dass sie Verschiedenes an TouristInnen verkaufen. Durch diese Tätigkeit wurden sie bald in den nächsten Kampf verwickelt. In dem Brief an die EinwohnerInnen der Stadt, den sie gerade schreiben, als wir sie treffen, erzählen sie von der polizeilichen Schikane, die ihnen tagtägliche begegnet. Diese gipfelt darin, dass ihnen die Waren, die sie zum Verkauf anbieten, von der Polizei gestohlen werden. So wird ihnen jede Möglichkeit genommen ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie erklären uns, dass die Bevölkerung annimmt, die MigrantInnen wären Schuld an der griechischen Krise. Deshalb möchten sie mit ihrem Brief etwas gegen diese Meinung setzen und ihre Sicht der Dinge schildern.
„Gerade wird der Brief ins Griechische übersetzt. In den nächsten Tagen können wir ihn dann in der Stadt verteilen!“, sagt Gérard als er sich von uns verabschiedet.
Die Information in diesem Artikel stammen aus einem Interview mit den Hungerstreikenden, welches wir im September 2011 durchführten, sowie von:
http://clandestinenglish.wordpress.com/2010/12/11/35-immigrants-in-ioannina-w-greece-on-hunger-strike/